Nicht nur im Sommer profitieren die Bergbahnen von der Wanderlust der Schweizer Bevölkerung. Grund genug, bei Michael Roschi, Geschäftsleiter des Verbands Schweizer Wanderwege, nachzufragen, welche gesundheitlichen Vorteile der Wandersport bringt, wie Seilbahnen das Gästeerlebnis von Wandernden optimieren können und wo es weitere Berührungspunkte gibt.
Seilbahnen Schweiz: Mit 58.1 % ist Wandern gemäss dem Forschungsbericht Sport Schweiz light 2022 die beliebteste Sportart der Bevölkerung. Woher kommt das?
Michael Roschi: Wandern ist eine sogenannte Lifetime-Sportart. Das heisst, sie wird über alle Altersgruppen hinweg und oft ein Leben lang betrieben. Besonders spannend ist, dass die Beliebtheit des Wanderns in den letzten Jahren vor allem bei den Jüngeren, in der Altersgruppe zwischen 15 und 29 Jahren, zugenommen hat. Das Wandern hat in der Schweiz zudem eine lange Tradition und ist tief verankert: Bereits 1934 wurde die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Wanderwege – heute der Verband Schweizer Wanderwege – gegründet. Die Anzahl der Wandernden nimmt stetig zu und dürfte wohl auch in der Zukunft noch weiter steigen.
Wissen Sie, warum so viel und so gerne gewandert wird? Liegt es an der wunderbaren Schweizer Landschaft, der sauberen Luft, oder der Fitness, die durch entsprechende Steigung gefördert werden kann?
Tatsächlich bestätigt die Studie «Wandern in der Schweiz 2020», dass die häufigsten Motive der Wandernden in der Schweiz die Gesundheit, der Aufenthalt in der freien Natur und die Fitness sind. Sicherlich spielen aber auch die vielfältigen und beeindruckenden Landschaften eine grosse Rolle – von einfachen Wanderwegen im Mittelland bis hin zu sehr anspruchsvollen Wanderungen in höheren Lagen lässt sich auf kleinem Raum für alle Bedürfnisse etwas finden. Das weitreichende Wanderwegnetz, die flächendeckende Signalisation sowie die attraktiven Routen, wofür sich der Verband Schweizer Wanderwege einsetzt, haben wohl ebenfalls Einfluss darauf, dass in unserem Land so viel gewandert wird. Am Ende ist es wohl eine Mischung aus allem.
Nebst den gesundheitlichen, körperlichen Aspekten gibt es noch weitere Pluspunkte, die für den Wandersport sprechen, aber oft vergessen gehen. Wie äussern sich diese aus der mentalen und psychologischen Sicht?
Eine ETH-Studie kam vor ein paar Jahren zum Fazit: «Wandern ist Medizin.» Wer regelmässig wandert, stärkt Muskelkraft, Ausdauer, Immunsystem und senkt das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Älteren Menschen hilft das Wandern zudem, ihre Fitness, das Gleichgewicht und die Trittsicherheit länger zu erhalten. Regelmässige Bewegung im Freien hilft aber nachweislich auch gegen depressive Verstimmungen. Für viele ist Wandern ein Ausgleich zum Alltag: eine sehr wirkungsvolle Methode, um Stress abzubauen und von den Alltagssorgen abzuschalten.
Wandernde sind für Seilbahnen sowohl im Sommer wie auch im Winter ein Kundensegment, welches es zu berücksichtigen gilt. Was können Seilbahnunternehmen oder Mitarbeitende von Seilbahnunternehmen tun, um das Wandererlebnis der Gäste zu verbessern?
Den Wandergast als wichtige Zielgruppe wahrnehmen und entsprechend wertschätzen. Eine klare Positionierung scheint mir ebenfalls wichtig. Die Bergbahnbetreiber:innen kennen die Verhältnisse vor Ort oft am besten. Ein guter Dienst am Wandergast ist es, wenn ihm oder ihr diese Informationen zugänglich gemacht werden – beispielsweise im Frühling ein Hinweis auf Altschneefelder oder Empfehlungen zur Querung von Mutterkuhherden. Aber auch frühe Fahrten zum Sonnenaufgang oder Abendfahrten, damit der Sonnenuntergang genossen werden kann, können das Angebot attraktiver machen.
Letzthin wurden mir bei kühler Witterung auf einem Sessellift Wolldecken für die Talfahrt angeboten – oft sind es die Kleinigkeiten, die zu einem unvergesslichen Gesamterlebnis beitragen. Das Seilbahnpersonal ist die erste bzw. letzte Anlaufstelle vor oder nach einer Wanderung – freundliche und gut informierte Mitarbeiter:innen können den Wandernden auf jeden Fall den Tag versüssen und mithelfen, den Ausflug in schöner Erinnerung zu behalten.
Auch wenn in der Regel die Kantone oder private Organisationen für die Wanderwege zuständig sind, so sind Seilbahnen ein fester Bestandteil im Wanderuniversum. Sei es, um den Weg auf den Gipfel zu verkürzen oder bei Talwanderungen eine Alternative zu schaffen. Gibt es weitere Berührungspunkte zwischen den Schweizer Seilbahnen und den Schweizer Wanderwegen?
Es gibt viele Berührungspunkte zwischen den Schweizer Wanderwegen und den Seilbahnen. Mit Jürg Balsiger ist auch ein aktiver Seilbahnunternehmer im Vorstand der Schweizer Wanderwege. Wir sind zudem Mitglied der Kommission Sommeraktivitäten von Seilbahnen Schweiz. Des Weiteren unterstützen die Schweizer Wanderwege mit ihren Förderinstrumenten immer wieder Infrastrukturprojekte zur Attraktivierung der Wanderweginfrastruktur. Vor ein paar Jahren konnte so zum Beispiel der Barfusswanderweg – ein Projekt, bei dem die Brunni-Bahnen Engelberg involviert waren – umgesetzt werden. 2022 fand sehr erfolgreich der erste Schweizer Wandergipfel in Gstaad statt. Mittlerweile wurde ein eigener Verein gegründet, um die verschiedenen Akteure im Bereich Wandern besser zu vernetzen. Am 29. August 2023 findet der erste digitale Wandergipfel statt und vom 19. bis 20. September 2024 wird der zweite Schweizer Wandergipfel in Gstaad vor Ort durchgeführt. Eine Teilnahme von Bergbahnbetreiber:innen und eine verstärkte Zusammenarbeit mit den Schweizer Seilbahnen in diesem Bereich wäre sehr wünschenswert.
Hand aufs Herz: Wie oft nutzen Sie auf Wanderungen eine Seilbahn?
Ich baue die Bergbahnen sehr gerne in meine Wanderungen ein. Einerseits kann ich so den Radius etwas erweitern und ich erspare mir zudem gerne den Abstieg. Mit der Familie nutze ich die Bahnen hingegen sehr gerne für die Bergfahrt, da es sich mit den Kindern deutlich einfacher bergab wandert. Zudem ist unser Sohn ein echter Bergbahnen-Fan und mit einer Fahrt in einer Seilbahn als Belohnung ist er immer für eine Wanderung zu begeistern.