
Aus der Idee, zum hundertjährigen Jubiläum ein Bahntheater durchzuführen, wurde ein jahrelanges Engagement mit vielfältigen kulturellen Angeboten rund um die Standseilbahn. Nicht nur durch Kunstausstellungen und Veranstaltungen, sondern auch durch die Zusammenarbeit mit weiteren lokalen Akteur:innen fungiert die Treib-Seelisberg-Bahn AG als Motor der Region am Urnersee. Wir haben mit Christoph Näpflin, Geschäftsführer des Seilbahnunternehmens, über kreative Ideen und die Schaffung von Mehrwert – für die Region und für die Bahn – gesprochen.
Wie ist euer kulturelles Engagement entstanden?
2016 feierte unsere Seilbahn ihr hundertjähriges Jubiläum. Wir wollten nicht einfach eine Festschrift oder ein Buch herausgeben, das im Regal verstaubt. Stattdessen führten wir ein Bahntheater auf, das die Bahn als Bühne nutzte. Die acht Aufführungen begannen in der Bergstation und führten dann auf verschiedenen Etappen durch die gesamte Bahnanlage. Wir zeigten die Geschichte der Bahn: von der Planung über den Bau, zu den Herausforderungen während der Weltkriege über die Euphorie der 60-er und 70-er Jahre bis in die Gegenwart. Abschliessend wagten wir einem Blick in die Zukunft, mit Ideen wie der vollständigen Automatisierung. Darüber diskutierten die Anwesenden auch noch beim anschliessenden Apero.
Das Theater war ein grosser Erfolg. Alle Vorführungen waren ausverkauft und wir erhielten viel positive Berichterstattung und begeisterte Rückmeldungen. Auch gab es während des Theaters tolle Interaktionen mit dem Publikum.
Es war ein Impro-Theater?
Eigentlich nicht (lacht). Die Schauspielenden waren zwar unter das Publikum gemischt, aber es war nicht als Impro-Theater mit aktiver Teilnahme der Besuchenden geplant. Diese fühlten sich aber offensichtlich so sehr abgeholt, dass sie in die Geschichte eintauchten und spontan dazu beitrugen. Die Schauspielenden nahmen dies jeweils auf und führten dann wieder zurück in das vorgesehene Skript. Einmal spielte sogar das Wetter mit: als wir in der Talstation ankamen, begann ein heftiges Gewitter, als wäre das so geplant. Die Anwesenden waren sehr beeindruckt – von unserem Schauspiel und vom Naturschauspiel.
Wie ging es nachher weiter?
Wir sehen uns als Motor der Region, unsere Bahn verbindet die Schifffahrt mit dem Postauto, das wir im Auftrag von PostAuto Zentralschweiz betreiben. Zudem leiten wir das örtliche Tourismusbüro. Diese Diversifizierung ist wichtig für unser langfristiges, wirtschaftliches Bestehen, da wir so das ganze Jahr Betrieb haben und weniger abhängig sind vom Wetter.
Aufgrund unserer Nähe zum Rütli und zum Weg der Schweiz sind wir prädestiniert für Kultur. Uns ist es wichtig, dass die Bahn nicht nur als Mittel gesehen wird, von A nach B zu gelangen, sondern dass sie als attraktives Angebot im Gespräch bleibt, also sozusagen das Bahnfahren an sich als Kultur angesehen wird.
2017 bespielten wir zum hundertjährigen Jubiläum des Tourismus im Ort mit der gleichen Besetzung wie beim Bahntheater eine Bühne im Wald. Später gaben wir mit Schauspielen in verschiedenen Restaurants der örtlichen Bevölkerung die Möglichkeit, alte Dorfgeschichten hautnah und mit viel Humor gespickt zu erleben. Im Schnitt haben wir alle zwei Jahre etwas veranstaltet, das meistens an ein spezielles Ereignis oder Jubiläum anknüpfte.
Aufgrund der Berichte über unser Bahntheater erhielten wir in der Folge auch Anfragen von Schriftsteller:innen und Kunstschaffenden, die Lesungen oder Projekte in und um die Bahn machten. Ernst Friedli, ein Darsteller vom Welttheater, hat anlässlich von Extrahalten der Bergbahn auf der offenen Strecke aus seinem neuen Buch für die Gäste in der Bahn vorgelesen. Sogar das SRF berichtet in seinem Format «Kulturplatz» darüber. Die Bergbahn spielt aber auch im neusten Buch «Schlaflos in Seelisberg» von Blanca Imboden eine Rolle.
Letztes Jahr vereinte ein Künstlerduo Minò aus Beckenried und José Gaggio aus der Westschweiz die Kunstformen der Fotographie und der Ölmalerei und liess die Landschaft und unsere Bahn in seine Werke einfliessen. Dies verbanden wir zusätzlich mit regionaler Musik zu unserer «Kulturspur», bei der immer die Bahn im Mittelpunkt stand. Es war eine schöne Erfahrung, die Bahn und die Region durch die Werke aus Sicht der Kunstschaffenden zu erfahren. Der auf Initiative der Treib-Seelisberg-Bahn gegründete Verein «Geschichtsreise Seelisberg-Rütli» hat vor fünf Jahren die viersprachige Freiluftausstellung zwischen Treib, Seelisberg und Rütli erstellt. Die Bergbahn ist dabei ein Teil dieser pfiffigen Ausstellung über Geschichte und Geschichten von Seelisberg, Rütli und Tell, welche jährlich von 10'000 bis 12'000 Personen besucht wird.
Gab es bei diesen vielfältigen Projekten auch Herausforderungen?
Wir müssen darauf achten, dass wir nicht die wirtschaftlichen und ökologischen Aspekte aus den Augen verlieren. Kunstprojekte dürfen keine negativen finanziellen Auswirkungen haben oder zu Schäden in der Natur führen. Gerade mit Kunstschaffenden ist das manchmal eine Herausforderung, sie sprudeln oft nur so vor Ideen (lacht). Dann ist es an uns, mit ihnen ein Budget und einen Leitfaden auszuarbeiten und uns konsequent daran zu halten.
Ausserdem wird Kunst sehr subjektiv wahrgenommen, Geschmäcker sind eben sehr verschieden. Wir hatten einmal ein gemeinsames Projekt mit weiteren Urner Bahnen, in dessen Rahmen wir von verschiedenen Schweizer Dichter:innen Werke in den Bahnstationen und den Bahnwagen aufhingen. Diese waren teilweise ziemlich experimentierfreudig, was bei manchen Gästen auf Ablehnung stiess. Auch bei Entscheidungen, z.B. während der Generalversammlung, haben wir öfter Diskussionen um Projekte. Allgemein habe ich das Gefühl, dass die Leute heutzutage viel schneller ihre Meinung kundtun.
Inzwischen haben wir aber einige Jahre Erfahrung und ein gutes Gefühl dafür entwickelt, was geht und was von unseren Gästen abgelehnt würde oder aus anderen Gründen nicht möglich wäre. Z.B gab es mal die Idee, entlang der Bahnstrecke Gemälde aufzustellen, was jedoch den Vorgaben des Natur- und Heimatschutzes widersprochen hätte. Auch die Fenster der Bahnwagons wollen wir nicht zukleben, da unsere Besuchenden die Aussicht schätzen.
«Kunst ist eine subjektive Sache, Geschmäcker sind verschieden. Wir haben inzwischen aber ein gutes Gefühl dafür, was beim Publikum ankommt und wo wir Grenzen setzen müssen.» Christoph Näpflin, Geschäftsführer, Treib-Seelisberg-Bahn AG
Welchen Nutzen zieht ihr aus eurem Engagement?
Wenn es nicht gerade in Strömen regnet, sehen wir bei Veranstaltungen ein stark erhöhtes Gästeaufkommen. Z.B. bei unserem Drehorgel-Wochenende verzeichnen wir bei schönem Wetter rund 50 % höhere Besuchszahlen. Die Gäste brauchen dafür kein zusätzliches Ticket, sie zahlen nur die Bahnfahrt. Sie müssen also nicht viel investieren, um vom Angebot zu profitieren. Dieses erhöhte Gästeaufkommen ist aber nicht nur für uns wertvoll, sondern bringt auch anderen Betrieben im Dorf zusätzliches Einkommen, wie z.B. den Restaurants oder der Käserei.
Die Geschichtsreise bringt uns schätzungsweise 10 % mehr Gäste. Da die Besuchenden bei den Posten Knöpfe drücken, können wir die Anzahl der Betätigungen messen. Schwerer einzuschätzen ist der wirtschaftliche Nutzen von Angeboten wie dem Bahntheater. Dieses wurde achtmal durchgeführt mit jeweils 35 Zuschauenden. Der Ticketpreis lag inklusive Apero bei 35 Franken, insgesamt spielte das Theater also rund 10'000 Franken ein, die aber lediglich die Produktionskosten deckten. Gleichzeitig konnten wir damit ein kostendeckendes Jubiläum feiern und mussten dieses nicht aus unserem regulären Budget berappen.
Kulturelle Angebote bringen einen weiteren, schwer quantifizierbaren Nutzen mit sich: wir erhalten durch sie viel kostenlose PR, weil gerade lokale und regionale Fernseh- und Radiostationen gerne über die Veranstaltungen und Ausstellungen berichten. So erreichen wir ein grösseres Publikum und schaffen damit einen Mehrwert.
Ihr seid mit der Region eng verbunden. Wer ausser euch profitiert ebenfalls von euren Aktivitäten?
Wir organisieren und begleiten Programme für Reisegruppen aus dem In- und Ausland. So kann das Reisebüro bei uns einen Tagesausflug mit Besuch der Bergkäserei oder einer Führung auf der Geschichtsreise-Freiluftausstellung, einem Mittagessen sowie einer Bergbahn- und Schifffahrt als Pauschale buchen. Wir arbeiten vor allem mit Partner:innen aus dem Dorf und der näheren Umgebung zusammen und können so auch einen Auftritt der Trachtengruppe aus Seelisberg vermitteln. Die Angebote sind immer kombiniert mit der Bahn- und Schifffahrt und haben allein letztes Jahr 850'000 Franken eingebracht, davon 14'000 Franken für die Treib-Seelisberg-Bahn. Da wir diese Programme koordinieren, können wir mit der Abrechnung nachvollziehen, was sie dem Dorf an Mehrwert einbringen.
Zudem sind acht von zehn Angestellten bei uns im Dorf wohnhaft, wobei einer der beiden «Externen» erst kürzlich weggezogen ist. Im Dorf gibt es keine grosse Industrie und so bieten wir immerhin acht Familien die Möglichkeit, ein Einkommen im Ort zu erwerben.
Von 2005 – 2012 hatten wir sogar eine enge Zusammenarbeit mit der Schifffahrtsgesellschaft Vierwaldstättersee. Wir organisierten gemeinsame Fondue-Fahrten auf dem Schiff. Reisegruppen wurden mit dem Schiff an einer Station abgeholt. Sie erhielten einen Apero mit Seelisberger Käse. Dann brachte die Bergbahn die Gäste zum Essen nach Seelisberg und in der Nacht fuhr sie das Postauto wieder zur Ausgangsstation zurück. Dabei konnte es vorkommen, dass der gleiche Mitarbeitende die Gäste auf dem Schiff, bei der Bergbahnfahrt und am Steuer des Postautos begleitete. Dafür gab es eine Art beruflichen Austausch: unserer Leute gingen bei der Schifffahrtsgesellschaft in Ausbildung, ihre kamen zu uns. Mit dieser Zusammenarbeit konnten wir den Winterbetrieb wieder zum Leben erwecken und beide Betriebe stärken. Später wurde dann das Schifffahrtsangebot ausgebaut, womit diese Art der Kooperation für uns nicht mehr stemmbar war. Das Ziel, die Auslastung zu erhöhen, hatten wir aber erreicht.
«Die Zusammenarbeit mit anderen Betrieben funktioniert bei uns sehr gut, sodass wir voneinander profitieren dürfen.» Christoph Näpflin, Geschäftsführer, Treib-Seelisberg-Bahn AG
Gibt es weitere Engagements oder Projekte?
Neben dem kulturellen Engagement ist uns auch der Klimaschutz wichtig. Wir kompensieren seit 15 Jahren die Blindenergie (ein Art von Energie, die in der elektrischen Anlage nicht verbraucht werden kann) und sparen so jährlich zwischen 4'000 und 5'000 Franken an Stromkosten bzw. rund 170'000 Kilovarstunden (eine Kilovarstunde bei der Blindenergie entspricht in etwa einer Kilowattstunde bei der Wirkenergie).
Bei uns im Ort ist zudem ab 2026 ein Wärmeverbund geplant, der vom lokalen Elektrizitätswerk umgesetzt wird. Daran werden wir teilnehmen, damit wir anschliessend unsere fossilen Heizsysteme abschalten können. Der Verbund wird mehrheitlich Erd- und Luftsonden nutzen, ergänzt durch Holz.
Womit wir wieder bei der Wichtigkeit der lokalen und regionalen Vernetzung wären, die nicht zu unterschätzen ist. Gerade für uns als kleines Unternehmen ist es enorm wichtig, uns mit den grösseren auszutauschen, zum Beispiel auch über den Regionalverband der Transportunternehmungen Zentralschweiz TUZ. Umgekehrt freut es uns sehr, wenn grössere Unternehmen sich über unser Wirken informieren – wir inspirieren uns gerne gegenseitig.
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