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Die Bergbahnen Scuol AG arbeitet seit Jahren mit verschiedenen Partnerorganisationen für mehr Inklusion auf den Pisten und im Gebiet. Sie sind Gründungsmitglied des Vereins «Scuol sainza cunfins» (Scuol ohne Grenzen). Das Beispiel zeigt, wie man mit guter Zusammenarbeit lokaler Akteur:innen Bekanntheit als rollstuhlfreundliche Destination erlangt, ohne diese Bekanntheit jemals als Ziel gesetzt zu haben.
Am Anfang stand das Engagement eines Einzelnen
Die Geschichte begann mit Stefan Gmür, damals in der Tourismusdestination Engadin Scuol Zernez tätig und inzwischen Gründer und Inhaber von WheelLife Solutions. Seit einem Unfall ist er im Rollstuhl unterwegs. Nach dem Vorfall gliederte er sich schnell wieder in die Tourismusdestination ein und brachte Projekte für mehr Barrierefreiheit auf den Weg. Andri Poo, der Direktor der Bergbahnen Scuol AG, ist mit weiteren Menschen im Rollstuhl befreundet. Aus diesen Verbindungen entstand die Motivation, Menschen mit Behinderung einen besseren Zugang zum Schneesport zu ermöglichen.
Die ersten Projekte begannen 2016. Im Jahr 2018 wurde dann der Verein «Scuol sainza cunfins» (Scuol ohne Grenzen) gegründet, bei dem die Bergbahnen Gründungsmitglied sind. Laut Poo war die Anschaffung von zwei Offroad Rollstühlen der ausschlaggebende Faktor für die Vereinsgründung. Diese wurden zunächst vom Bike-Shop der Bergbahnen vermietet. Damit hing am Anfang einiges an organisatorischen Aufgaben am Seilbahnunternehmen, später übernahm Stefan Gmür die Koordination und das Vereinspräsidium und brachte neue Projekte ins Laufen.
Während ursprünglich der Sommerbetrieb mit der Vermietung von Rollstühlen den Schwerpunkt bildete, rückte rasch der Winteraspekt in den Fokus. Die Skischule förderte die Ausbildung der Schneesportlehrer:innen im Umgang mit Menschen im Rollstuhl. Der Verein und die Schneesportschule schaffte Dualbobs an, auf denen die Wintersportler:innen angegurtet in einer auf einem oder zwei Skis montierten Schale sitzen. Diese können die sowohl von der Skischule als auch von Privatpersonen genutzt werden. Auch leihen manche ihre privaten Geräte an die Skischule aus, die die Geräteausgabe verwaltet. Die Schalen, in denen die Wintersportler:innen beim Gebrauch der Dualbobs sitzen, seien austauschbar und Stefan Gmür habe gemeinsam mit der Stiftung Cerebral dafür gesorgt, dass genügend Schalenvarianten für Erwachsene und Kinder zur Verfügung stünden, so Poo.
Die Rolle der Bergbahnen
Poo betont, dass die Förderung für mehr Inklusion nicht allein über die Bergbahnen Scuol läuft, sondern dass auch viele weitere Akteur:innen daran beteiligt sind: die Skischule Scuol-Ftan, die Tourismusdestination Engadin Scuol Zernez, die Firma WheelLife Solutions sowie Einzelpersonen sind über den Verein «Scuol sainza cunfins» verbunden. Auch Stiftungen trugen immer wieder ihren Teil bei und unterstützten gezielt Projekte.
Die Bergbahnen Scuol seien vor allem an der Rollstuhlvermietung beteiligt und am Unterhalt der Geräte. Ausserdem brauche es etwas mehr Logistik, barrierefreie Angebote zu betreuen, und das Personal müsse gut geschult sein. Es brauche Durchsetzungsvermögen vor allem gegenüber den gehenden Gästen, wenn diese z.B. kurz warten müssten, aber in der Regel stosse das Personal auf viel Verständnis. Laut Poo seien auch die finanziellen Aufwände überschaubar. Zwar habe die Bahn in einige Geräte investiert, um die Rollstühle einfacher zu verschieben, aber das seien keine grossen Investitionen gewesen. Es brauche vor allem den Willen, etwas zu bewirken, so Poo.
Dieser Wille zeigte sich auch beim Umbau des Berggasthauses bei der Bergstation: die Bergbahnen Scuol AG liess sich von ProInfirmis beraten, um Barrierefreiheit bestmöglich umzusetzen. Poo weist darauf hin, dass die meisten Anpassungen beim Restaurant schlicht den gesetzlichen Vorgaben entsprechen. Darüber hinaus gehen Angebote wie der Depotplatz für die nicht-berggängigen Rollstühle bei der Vermietung oder der Platz zum Umziehen. Dies seien jedoch ebenfalls überschaubare Aufwände gewesen, meint Poo. Die Bahn selbst falle tatsächlich nicht unter das Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG), da handle das Unternehmen aus eigenem Antrieb, um möglichst vielen den Zugang zu ermöglichen.
Im vergangenen Winter sei zudem das Angebot ausgeweitet worden. Bisher sei die Auswahl beim Essen für Gäste im Dualbob auf das Restaurant in der Bergstation beschränkt gewesen. Neu können sie mit dem «Chair in a Box»-Konzept von WheelLife Solutions auch im Bergrestaurant Prümaran Prui und in der La Palma Bar einkehren. In speziellen Boxen stehen Rollstühle bereit, die die Gäste selbstständig herausnehmen und auf die sie umsteigen können, um von der Piste ins Restaurant zu gelangen. Poo betont, dass die Bahn hier nicht mitgewirkt habe, sondern WheelLife Solutions direkt mit den beiden Restaurants kooperiert.
«Es war nie ein alleiniges Engagement der Bergbahnen. Ohne die gute Zusammenarbeit mit einer Vielzahl an lokalen Akteuren, wie der Tourismusdestination, der Skischule und weiteren Beteiligten wären wir nicht da, wo wir heute sind.» Andri Poo, Direktor Bergbahnen Scuol AG
Ungeplante Bekanntheit
«Wir haben diese Projekte nicht umgesetzt, um uns als rollstuhlfreundliche Destination einen Namen zu machen. Für uns standen die Menschen vor Ort im Fokus, ihnen wollten wir etwas bieten.» sagt Poo. Es brauche dafür vor allem den Willen der Firmen, mitzuziehen, denn keiner der mitwirkenden Betriebe generiere mit diesen Angeboten viel Umsatz. Dennoch: das Gesamtpaket in Zusammenarbeit verschiedenster Leistungsträger:innen funktioniert. So hat die Region, ohne dies geplant zu haben, eine gewisse Bekanntheit als Schneesportregion für Beeinträchtigte erlangt. Das geschulte Personal und die passende Infrastruktur tragen dazu ihren Teil bei. So erzählt Poo, dass er neulich erst erfahren habe, dass PluSport einige Schneesportlager in Scuol organisiert habe, was eine erfreuliche Überraschung gewesen sei. Es zeige, dass auch Organisationen, die spezifische Angebote für Menschen mit Behinderung anbieten, zum Schluss kommen, dass das Gebiet ihren Bedürfnissen entspreche. Dies habe durchaus auch wirtschaftlich positive Auswirkungen für die Region.
Weitere Engagements
Nicht nur für Barrierefreiheit, sondern auch in anderen Bereichen engagiert sich die Bergbahnen Scuol AG. So führt die Bahn schon seit langem gemeinsam mit dem Verein Trash Hero eine jährlich stattfindende Putzaktion durch, während der Abfall gesammelt wird. Dies sei laut Poo ein sinnvoller Anlass, der vor allem viel zur Sensibilisierung beitrage. Durch die Aufräumaktionen sei z.B. auch aufgefallen, dass es viele Zucker- und Guezliverpackungen von den Restaurantterrassen weggeweht habe, weshalb die Abgabe dieser kleinen, einzeln verpackten Portionen im Restaurant der Bergbahnen Scuol AG abgeschafft wurde.
Beim Umbauprojekt des Restaurants setzte das Seilbahnunternehmen auf eine Erdsonde für die Heizung, nutzt die Abwärme der Bahn und des Beschneiungskompressors und installierte Photovoltaik. Poo sieht dies jedoch nicht als Pionierprojekt, sondern ganz bescheiden als «heutzutage einfach notwendig und normal.»
Auf grosse Kampagnen und die Vermarktung von Nachhaltigkeit verzichte die Bahn jedoch bewusst. Lieber setzt Poo auf gezielte Angebote wie die Klimawanderungen, während denen er Interessierten die Haltung und Werte des Betriebs vermittelt. Dies sei zwar aufwändiger als andere Kommunikationsmassnahmen, dafür sei es ein authentischer Weg, um zu zeigen, was das Unternehmen bereits leistet. Auch Studierende und Schulen nutzen das Angebot gerne, erzählt Poo.
Die Region sei eher erschwinglich, jedoch schätzten die Gäste es, wenn sie gezielt nachhaltige Angebote nutzen können. Sie seien dann laut Poo auch bereit, z.B. für regionale Gerichte oder die Reduktion von Foodwaste im Restaurant etwas mehr auszugeben.
«Wir wollen Nachhaltigkeit nicht als Marketingtool nutzen, sondern konkret unsere Gäste auf das Thema Klimawandel aufmerksam machen. Deshalb biete ich seit einiger Zeit die Klimawanderungen an – ein gefragtes Angebot, das den Austausch und das Bewusstsein fördert.» Andri Poo, Direktor Bergbahnen Scuol AG
Zusammenarbeit als zentrales Element für den Erfolg der Region und der Bergbahnen
Immer wieder weist Poo darauf hin, wie wichtig die Zusammenarbeit mit den anderen lokalen und regionalen Akteur:innen ist. Allen sei bewusst, welchen Wert die Destination habe und was sie den Gästen bieten könne. Gemeinsam mit der Tourismusdestination setzen die Bergbahnen auf einen sanften Tourismus. Man nehme das Thema Nachhaltigkeit ernst – es liege auch im Eigeninteresse der beiden Akteurinnen.
Die enge Vernetzung in der Region führt auch dazu, dass innovative Projekte gut vorangebracht werden können. Insgesamt stosse die Bergbahnen Scuol AG bei Partner:innen wie der Gemeinde oder kantonalen Ämtern auf Wohlwollen. Das nächste grosse Projekt wird die Ausweitung der Beschneiungsanlagen sowie der Ersatz bestehender Anlagen sein. Die Planung sei aufgrund der vielen Vorgaben aufwändig. Poo ist jedoch positiv gestimmt, dass auch hier die glaubwürdige und gute Zusammenarbeit helfen werde, das Projekt ohne grosse Hürden umzusetzen.