
Nicht nur Bahn und Restaurant sind auf dem Stockhorn rollstuhlgängig. Auch der «See-Rundwanderweg No Limits» um den Hinterstockensee ist ein beliebtes Ausflugsziel für Menschen mit eingeschränkter Mobilität. Die Stockhornbahn AG hat 2016 Pionierarbeit geleistet und 4 Prototypen geländegängiger Elektrorollstühle angeschafft, welche sie seither an gehbeeinträchtigte Personen vermietet. Wir haben mit Stefan Schmid, Geschäftsführer der Stockhornbahn AG, und Patrick Gartenmann, Technischer Leiter, über ihr Engagement für mehr Barrierefreiheit und weitere Nachhaltigkeitsthemen gesprochen.
Den Rollstuhltrail gibt es bereits seit einigen Jahren. Was war die Motivation, diesen zu bauen und geländegängige Rollstühle dafür zu vermieten?
Schmid: Die Idee eines rollstuhltauglichen Rundwegs kam u.a. vom damaligen Verwaltungsratspräsidenten, der ein Grosskind mit schwerer Behinderung hatte. Der Vorschlag fand innerhalb der Unternehmung Anklang, welche in der Vermietung geländetauglicher Rollstühle auch ein Geschäftsmodell sah. Alsbald beschaffte die Bahn damals vier geländegängige Rollstühle der Firma JST/Multidrive AG aus Erlenbach im Simmental. Es handelte sich um Prototypen, bei welchen noch technische Anpassungen notwendig waren. Die ersten Modelle eigneten sich z.B. für Kinder eher wenig. Die Rollstühle wurden damals von der Stiftung Cerebral mitfinanziert.
Parallel zur Rollstuhlanschaffung wurde der Seerundweg ausgebaut, damit man mit den speziell angefertigten «Mountain Drive» Rollstühlen den Hinterstockensee umrunden konnte. Dafür brauchte es Weganpassungen und Geländeabsperrungen, um Unfälle zu verhindern.
Was waren oder sind besondere Herausforderungen mit dem Projekt?
Schmid: Der Trail und die Rollstuhlvermietung sind kein Kassenschlager. Wenn wir dieses Geschäftsfeld besser vermarkten möchten, würden wir uns mit unseren limitierten Marketingressourcen zwischen Tourismus und der Hilfsmittelbranche verzetteln. Auch ist der Umgang mit den Mietenden oft sehr herausfordernd, unser Personal bestehend z.B. aus gelernten Seilbahnmechatronikern und Heizungsmonteuren etc., ist nicht geschult, um Behinderungen abzuklären und um zu beurteilen, ob ein Rollstuhlfahrer mit seinem körperlichen Handicap einen elektrischen Geländerollstuhl bedienen kann.
Gartenmann: Wir dürfen beim Transfer vom eigenen Rollstuhl in den Mietrollstuhl nicht helfen, da wir bei falscher Hilfestellung Schaden anrichten könnten. Das müssen die Personen mit Behinderungen allein oder mit Hilfe ihrer Begleitpersonen können. Zudem ist für uns die Beurteilung ihrer Fähigkeiten schwierig. Zwar instruieren wir die Mietenden und testen ihr Fahrvermögen bei der Rollstuhlabgabestelle. Trotzdem verfügen wir nicht über ausreichend Zeit, um 100% zu beurteilen, ob eine Person den Rollstuhl selbstständig bedienen kann. Obwohl die Mietenden mit ihrer Unterschrift ihre Fahrfähigkeit bestätigen, fühlen wir uns trotzdem, zumindest moralisch, in der Verantwortung.
Schmid: Eine weitere Herausforderung ist, dass manche Personen versuchen mit dem eigenen (Elektro-)Rollstuhl die Wegstrecke zu fahren. Dies ist aufgrund einiger Abschnitte mit relativ starker Steigung nicht möglich. Die Angestellten der Bahn versuchen, dies zu verhindern. Allerdings fehlen uns die Ressourcen, alle ankommenden Gäste konstant zu überwachen. Letztlich zählt daher die Eigenverantwortung der Gäste.
Gartenmann: Wir lassen die Rollstuhlfahrer jeweils eine Fahrinstruktion unterschreiben, damit sichergestellt ist, dass die Regeln eingehalten und die Fahrwege nicht verlassen werden.
Wie reagiert das Publikum auf das Angebot?
Gartenmann: Durchwegs positiv. Unsere Gäste sind begeistert, dass sie hier trotz Behinderung die Bergidylle geniessen können. Manche umrunden den See mehrmals und möchten den Rollstuhl am liebsten gar nicht mehr abgeben.
Schmid: Gerade Menschen mit einer schweren Behinderung haben fast keinen Zugang mehr zur Natur, geschweige denn zu Bergseeufern. Für viele wird dies durch die geländegängigen Rollstühle möglich. Das Feedback, auch von den Begleitpersonen, ist oft sehr berührend. Auch ältere Personen nutzen das Angebot oft, welche in ihrer physischen Verfassung aufgrund ihres hohen Alters eingeschränkt sind. Auch für sie ist es ein besonderes Erlebnis, sich um einen Bergsee bewegen zu können.
«Auch ältere Personen mieten vermehrt unsere Rollstühle. Einige erwähnten auch schon, sie wollten einfach nochmal einen Bergsee umrunden, bevor es zu spät ist.» Stefan Schmid, Geschäftsführer, Stockhornbahn AG
Gibt es auch Begegnungen, die besonders in Erinnerung bleiben?
Gartenmann (lachend): Ja, die gibt es. Wir erklären bei der Abgabe jeweils, dass die Rollstühle mit Akku betrieben sind und die Benutzer:innen sich telefonisch bei uns melden können, sobald der erste Akku leer ist. Dann bringen wir einen zweiten, den sie ebenfalls leerfahren dürfen. Ein älterer Herr hatte sich telefonisch gemeldet, er sei mitten auf einer Kuhweide. Er hat sich offensichtlich nicht an unsere Anweisung gehalten, auf den Fahrwegen zu bleiben. Es machte ihm grossen Spass und er verbrauchte noch einen zweiten Akku auf seiner Querfeldein-Fahrt.
Habt ihr als Unternehmen auch Vorteile von diesem Angebot?
Schmid: Für uns war es sehr positiv, dass wir uns schon früh mit Barrierefreiheit auseinandergesetzt haben. Die Bahnanlagen und die Restaurants sind durchgehend zugänglich für Personen im Rollstuhl. Viele Besuchende kommen direkt ins Restaurant, ohne vorherigen Seebesuch. Als das Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) in Kraft trat, war die Stockhornbahn schon sehr gut aufgestellt und musste nur noch wenig anpassen. Potential haben wir noch bei der Aufrüstung für seh- und hörbehinderte Menschen, z.B. mit dem Anbringen von Leitlinien.
Dieses soziale Engagement ist sicher für uns imagefördernd, man spricht eine kleine benachteiligte Zielgruppe an und es ist offensichtlich, dass wir hier damit kein Geld verdienen.
Neben diesem sozialen Engagement setzt sich die Stockhornbahn AG auch für eine intakte Natur ein. Ist es herausfordernd, einen guten Mittelweg zwischen Nützen und Schützen zu finden?
Schmid: Genau. Unsere Gäste fordern bzw. erwarten ein Engagement in Richtung Natur und Nachhaltigkeit. Wie viele andere Bergbahnen bewegen wir uns hier in einem Spannungsfeld.
Einerseits ist gerade die Naturidylle und die Unberührbarkeit der Bergregion unser langfristiges Kapital, andererseits besteht seitens vieler Gäste der Anspruch, möglichst schnell und komfortabel ins Zielgebiet zu gelangen, wo eine hohe Erwartungshaltung an eine perfekt funktionierende und moderne Infrastruktur vorausgesetzt wird.
Steigende Lohnkosten, Fachkräftemangel, schärfere Auflagen an die Sicherheit, langwierige und teure Bau- und Sanierungskosten müssen durch Mehrerträge kompensiert werden.
Im Winter generieren wir mit unseren Attraktionen für Nichtskifahrer heute doppelt so hohe Erträge wie vor Corona oder auch deutlich höhere Erträge bei tieferen Fixkosten, als zu Zeiten des Skibetriebes.
Langsam stossen wir mit unseren Ressourcen bei der Infrastruktur und Organisation, insbesondere in der Sommersaison an die Kapazitätsgrenzen.
Die Bahn in der zweiten Sektion werden wir in den nächsten Jahren erneuern bzw. ersetzen müssen, da im Jahr 2033 deren Konzession ausläuft. Beabsichtigt ist die Talstation auszubauen, um mehr Bürofläche zu generieren. Für das alte Restaurant in der Mittelstation läuft eine Studie, wie wir mit Eigenmitteln und etwas Fremdkapital das bestehende Gebäude sanieren können. 2024 haben wir Glasfaserkabel verlegt, die ganze Unternehmung verfügt seit einigen Wochen über ein stabiles, ultraschnelles Daten-und Telefonnetz. Parallel dazu verlegten wir zwischen Mittelstation und Stockhorn eine Trinkwasserleitung damit wir das Trinkwasser für das Bergrestaurant nicht mehr mit den Bahnen transportieren müssen.
Gerne würden wir für die aktiveren Gäste eine Klettersteig installieren, da kommt uns momentan noch unser eigenes Engagement in die Quere.
Wie meinen Sie das?
Schmid: Wir haben seit 2022 ein Aussiedelungsprojekt für Steinwild, welches wir gemeinsam mit dem Verein «Freunde des Stockhorns» angestossen und mit dem Jagdinspektorat des Kantons initialisiert haben. Während drei Jahren wurden im Frühling jeweils 10 Steinböcke und Steingeissen ausgesetzt. Um Inzucht zu vermeiden, wurden diese aus verschiedenen Regionen der Schweiz ins Stockhorngebiet transportiert. Die Population entwickelt sich gut, die Tiere wurden per GPS-Sender überwacht. Sie halten sich grösstenteils im felsigen Gebiet im Bereich Stockentalseite auf. Eine Steingeiss besucht uns häufig bei der Mittelstation und registriert, ob wir noch da sind. Vor einiger Zeit wanderte ein Steinbock über die Simme ins Niesengebiet, kehrte aber bald wieder zurück, weil es ihm bei uns wohl doch besser gefiel (lacht).
Die gelungene Steinwildansiedelung ist erfreulich. Gleichzeitig stellt gerade diese Ansiedlung zusätzliche Hürden bei der Realisierung von Gästeattraktionen dar. Ein Klettersteig kann nur dort gebaut werden, wo sich keine Wildtiere aufhalten oder zukünftig aufhalten werden. Bei uns sind in der kürzlich vom Kanton installierten Wildruhezone, neben den Steinböcken z.B., zwei Gamskolonien, Steinadler und Bartgeier beheimatet. Dies erfreut die Gäste, allerdings werden dadurch nur beschränkt Erträge generiert. Eine Herausforderung, welche generell die Branche betrifft, wenn der Natur- und Tierschutz, mit den damit verbunden Auflagen und Verboten, die Existenz der Unternehmen, mit einer Vielzahl von Arbeitsplätzen gefährdet.
«Eine Steinbockauswilderung ist aufwändig. Zeitweise hatten wir mehr Jagdinspektoren und Tierärzte am Berg als Steinwild.» Stefan Schmid, Geschäftsführer, Stockhornbahn AG

Welche weiteren Massnahmen ergreifen Sie für mehr Nachhaltigkeit?
Schmid: Im Jahr 2026 werden wir uns an einem Bus-Pilotversuch beteiligen, die Buslinie führt u.a. von den BLS-Bahnhöfen im Simmental zur Talstation der Stockhornbahn. Damit entfällt die 15-minütige Gehstrecke zwischen Erlenbach BLS Station und der Talstation Stockhornbahn. Voraussichtlich ist dieses neue ÖV- Angebot ab der Fahrplanänderung im Dezember 2025 verfügbar.
Ein weiteres neues Angebot ist ein Souvenir-Foodshop in der Mittelstation. U.a. bieten wir dort lokale landwirtschaftliche Erzeugnisse unserer Nachbarn, den Bergbauern, an. Geprüft wird im Kontext Zusammenarbeit die Besichtigung einer Alpwirtschaft während der Käseproduktion, dies dürfte vor allem für Gäste, welchen die Schweizer Berglandwirtschaft fremd ist, spannend sein.
Mit der Verabschiedung vom Skibetrieb vor 20 Jahren und der Entwicklung Richtung Sommerdestination sind wir in den letzten Jahren gut gefahren. Heute sehen wir das Entwicklungspotenzial eher im Winter, dies geht auch ohne Skibetrieb mit vielfältigen Attraktionen. Ein Drittel der Erträge generieren wir heute in der kalten Jahreszeit. Diese kommen allerdings nicht von selbst, dazu ist jedes Jahr im Herbst ein hohes Mass an persönlichen Efforts im Marketingbereich notwendig.
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